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Feministischer Kampftag 8. März:

Warum wir Realitäten verändern müssen, wenn wir Utopien erreichen wollen

Claudia Salwik ist gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Ratsfraktion

Zum heutigen Internationalen Frauentag erklärt die gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Ratsfraktion Claudia Salwik:

„‚UN WOMEN‘ beschreibt zum feministischen Kampftag eine gerechte, menschenfreundliche Welt, frei von Sexismus, Rassismus, Behindertenfeindlichkeit, Klassismus, Altersdiskriminierung und anderen Unterdrückungsformen als feministische Utopie. Eine Utopie, die einlädt an ihr teilzuhaben, die begeistert. Eine Utopie, in der sich wirklich jede:r wertvoll, wirksam und sicher fühlen kann. Das schönste an dieser Utopie – jede:r ist gleichwertig. In dieser Utopie geht es nicht darum, Frauen über Männer zu stellen. Es geht darum, alle Menschen und ihre Individualität gleichermaßen wertzuschätzen und anzuerkennen.

Schauen wir uns, wie in jedem Jahr am 8. März, die Realität an, weicht das Gefühl von Sicherheit, Selbstwert und Selbstwirksamkeit jedoch schnell. Die Realität heißt weiterhin: Jede dritte Frau in Deutschland erfährt mindestens einmal in ihrem Leben physische oder psychische Gewalt. Mädchen und Frauen mit einer Behinderung erleben zwei- bis dreimal häufiger Gewalt als der Bevölkerungsdurchschnitt, fast die Hälfte von ihnen erfährt sexuelle Gewalt.

Die Frauenerwerbstätigkeit könnte in Sachen Gender Pay Gap und Gender Care Gap hoffnungsvoll stimmen – ist die feministische Utopie hier etwa in greifbarer Nähe? Der Realitätscheck ernüchtert. Zwar steigt die Frauenerwerbsquote stetig, allerdings leisten Frauen weiterhin 50 % mehr tägliche Sorgearbeit als Männer.

Frauen nutzen ihre Freiheiten hinsichtlich beruflicher Selbstverwirklichung also immer häufiger, allerdings lastet die Sorgearbeit weiterhin unverändert primär auf ihren Schultern. Zum Dank werden auch heute noch Frauen etwa 18 % schlechter bezahlt als Männer.

Nun könnte man kritisch anmerken, dass Frauen sich schlicht die falschen, eben unterbezahlten Berufe aussuchen – sie entsprechend selbst schuld sind an geringerem Einkommen. Gleichzeitig fällt auf, dass es eben die sogenannten Frauenberufe sind, welche per se unterbezahlt werden. Fragen wir uns, welche Berufe systemrelevant, also für das Funktionieren einer Gesellschaft unverzichtbar sind, sind ebendiese Frauenberufe auch hier überrepräsentiert.

Frauen arbeiten also im Ergebnis mehr, häufiger gar nicht oder schlechter bezahlt und das alles in Lebens- und Arbeitsbereichen, ohne die unsere Gesellschaft in sich zusammenfallen würde. Als wäre das nicht genug, sind sie allein aufgrund ihres Geschlechts wahrscheinlicher von Gewalt betroffen, etwa jeden dritten Tag mit tödlichem Ausgang.

Klingt nach einem schlechten Deal? Ist es auch. Wer profitiert eigentlich, wenn sich diese Realitäten nicht verändern? Kurzfristig wohl diejenigen, die nicht aufgrund ihres Geschlechts Benachteiligung und Gewalt erfahren. Spätestens seit der Coronapandemie und durch den Fachkräftemangel in Gesundheits- und Sozialberufen ist aber klar, dass der Preis für diese Privilegien der einen ein Mangel an Sicherheit und Lebensqualität aller ist.

Frauen kämpfen an allen Fronten für ihre Sichtbarkeit, ihren Schutz und ihre Teilhabe. Was braucht es also im Hier und Jetzt, damit unsere Gesellschaft stabil bleibt und für alle sicher wird, sich der feministischen Utopie annähern kann?

Es braucht Männer, die erkennen, dass ihre bisherigen Privilegien nicht haltbar und bezahlbar sind, denn diese bedeuten heute, dass unser Sozial- und Gesundheitssystem einzustürzen droht. Es braucht Männer, die sich von alten Männlichkeitsbildern emanzipieren und den Mut haben, sich ihren eigenen Gefühlen und Unsicherheiten zu stellen. Es braucht Männer, die ihren Mann stehen; Verantwortung für die Erziehung und Versorgung ihrer Kinder übernehmen – monetär sowie durch unbezahlte Sorgearbeit.

Es braucht Strukturen der Lohnarbeit, die für Menschen gemacht sind und nicht auf Kosten von Menschen. Gläserne Decken, die eingerissen werden und so Potenziale ausschöpfen, die bisher nicht genutzt werden.

Es braucht ein Verständnis von Liebe und Partnerschaftlichkeit, das nicht auf Besitzansprüchen, sondern auf Augenhöhe aufbaut. Ein Verständnis, das klar Partnerschaftsgewalt und Gewalt gegen Frauen als genau das ablehnt und verurteilt, Femizide als solche benennt und nicht als Beziehungsdramen verklärt und verharmlost.

Und leider braucht es, bis die feministische Utopie endlich unsere Realität ist, ausreichend Schutzräume für von Gewalt betroffene Frauen. Jede:r, der:die schon einmal nach einem Platz in einem Frauenhaus gesucht hat, weiß: Ein freier Platz in einem Frauenhaus ist noch schwerer zu bekommen als ein Kitaplatz mit ausreichenden Betreuungszeiten und -schlüssel. Zwar hat die Landesregierung die Aufnahme von fünf weiteren Einrichtungen in die Landesförderung zugesagt – der Bedarf ist damit aber noch lange nicht gedeckt.

Die Aufgaben auf dem Weg zur feministischen Utopie sind sicherlich unterschiedlich verteilt; scheitert der Weg dahin jedoch, dann scheitern wir als Gesellschaft gemeinsam.“

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