Dem Kita-Ausbau geht die Puste aus:

Landesregierung muss Investitionsförderung in der Kindertagesbetreuung garantieren und kommunalen Belastungsausgleich sicherstellen

Es ist erst wenige Wochen her, dass Familienministerin Josefine Paul den nahezu vollständigen Einbruch der Ausbaudynamik bei der Schaffung neuer Plätze für Unterdreijährige verkünden musste. Jetzt haben die kommunalen Spitzenverbände mittels eines Schnellbriefs über die nächste Hiobsbotschaft informiert. Die Landesjugendämter nehmen keine Bewilligungen für die Investitionsförderung in der Kindertagesbetreuung mehr vor. Gegenüber einigen Kommunen ist seitens der Landesjugendämter darauf verwiesen worden, dass die Mittel für die Investitionsförderung bereits ausgeschöpft seien. Demnach lägen auch für bereits eingegangene Anträge keine ausreichenden Mittel mehr vor und es sei auch nicht absehbar, ob und wann weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden.

Die für das laufende Haushaltsjahr angesetzten 115 Millionen Euro waren bereits im Mai ausgeschöpft. Über eine Fortsetzung der Förderung hat die Regierung zunächst die Kommunen und Träger im Unklaren gelassen. Dies wirkt umso schwerer, als dass es in diesem Fall eine Vereinbarung zwischen Land und Kommunen gab: In dieser Vereinbarung zwischen der Landesregierung bzw. dem damaligen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und den kommunalen Spitzenverbänden aus dem Jahr 2019 hatte die Landesregierung den Kommunen garantiert, jeden notwendigen Platz beim Ausbau der Kinderbetreuung zu bewilligen und auf Grundlage einer entsprechenden Förderrichtlinie zu finanzieren.

Die Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen für Investitionen für zusätzliche Plätze in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (Investitionsrichtlinie Kindertagesbetreuung)“ ist in geänderter Fassung zum 1. März 2024 in Kraft getreten.

„Mit der Anpassung der Richtlinie ist eine vollumfängliche Angleichung der Fördersätze an die tatsächliche Preisentwicklung unterblieben. Gleichzeitig hat die Landesregierung den Trägern den Ausgleich für gestiegene Personalkosten verweigert und die Insolvenzgefahr für Kita-Träger erhöht. Damit hat die Landesregierung die Kommunen und Träger beim Ausbau der Kinderbetreuung bereits finanziell stark belastet und dem Ziel einer bedarfsgerechten Betreuungslandschaft in NRW einen Dämpfer verpasst“, erklärt die SPD-Landtagsabgeordnete Sonja Bongers.

Finanzmangel

Neben dieser Tatsache würde ein Einstellen der Förderung jetzt einen Bruch mit den getroffenen Zusagen bedeuten. Das wurde mit steigendem Druck durch Vertreter der Träger und der Opposition kurzfristig verhindert. In einer Hauruckaktion fand man im Ministerium zwischen Samstagabend und Sonntagmorgen noch Mittel von 85 Millionen Euro für die Investitionen in den Neubau von Plätzen für Kindertagesstätten.

„Der Landesregierung muss der Finanzmangel seit Wochen bekannt gewesen sein. Transparentes und planvolles Regierungshandeln ist unter der schwarz-grünen Landesregierung zum Fremdwort geworden. Zuletzt musste die Landesregierung vermelden, dass ab August 2024 gerade einmal 466 neue Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren dazukommen sollen. Bei einem Platzmangel von mehr als 90.0000 Plätzen in dieser Altersgruppe, ist dies ein Armutszeugnis und der Beweis, dass sich Familie und Beruf in Nordrhein-Westfalen immer schwerer miteinander vereinbaren lassen“, so Bongers.

Mittel ausgeschöpft

Nun sind nach nicht einmal der Hälfte des Jahres die Mittel bereits ausgeschöpft. Es handelt sich hierbei um einen weiteren Beleg für die chaotische Haushaltsplanung, die nicht ausreichende Vorsorge für die zu bewältigenden Herausforderungen im Land getroffen hat. Dieses krasse Versäumnis reiht sich in die Reihe der kommunalfeindlichen Maßnahmen und Fehler der Landesregierung ein, die die Arbeit der Städte, Gemeinden und Kreise für die Familien vor Ort erschwert und teilweise unmöglich macht.

„Der Ausbau an U3-Plätzen ist in Nordrhein-Westfalen zum Stillstand gekommen und bei den Plätzen für Überdreijährige rechnet sich das Familienministerium die Lage schön. Während Ministerin Paul mit einer Betreuungsquote von knapp 100 Prozent hausieren geht und damit eine Vollversorgung suggeriert, zeichnet das Statistische Landesamt ein anderes Bild. Die Versorgungsquote ist laut IT.NRW seit Jahren im Sinkflug und hat mit 89,7 Prozent einen neuen Tiefstand erreicht. Das heißt etwa jedes zehnte Kind unter sechs Jahren hat keinen Zugang zu frühkindlicher Bildung.

„Wenn Ministerin Paul behauptet, dass der Rechtsanspruch erfüllt werde, weil die Betreuungsbedarfe nicht zu 100 Prozent vorhanden seien, lässt es mich zweifeln, ob sie die Probleme dieser Entwicklung verstanden hat. Hier hilft ein Blick in den nationalen Bildungsbericht: Insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund sind von der Teilhabe ausgeschlossen. Es ist nicht der mangelnde Bedarf, sondern Zugangsbarrieren verhindern, dass Kinder mit Migrationsgeschichte den Weg in das Kita-System finden. Das wirkt sich unmittelbar auf ihre Chancen in der Grundschule aus“, so Bongers.

Bei keinem dieser Themen gibt es ein abgestimmtes Vorgehen mit den Städten und Gemeinden. Nicht nur beim Ausbau der Infrastruktur erweist sich die Landesregierung als unzuverlässiger Partner der Kommunen. Der Belastungsausgleich Jugendhilfe ist seit 2019 nicht neu berechnet wurden. Das Land steht hier bei den Kommunen inzwischen mit einer halben bis zu einer Milliarde Euro in der Kreide. Jeder Euro, der hier fehlt, kann nicht in die Kinder und Familien investiert werden.“

Keine Anpassungen seit fünf Jahren

Dazu gehört die Tatsache, dass das Belastungsausgleichsgesetz in der Jugendhilfe (BAG-JH) seit 2019 nicht mehr angepasst worden ist. Dieses Gesetz regelt den Anspruch der Kommunen auf einen finanziellen Ausgleich des Landes für die Kosten der U3- Kinderbetreuung. Bislang hat das Land weder ein transparentes Verfahren zur Kostenermittlung durchgeführt, geschweige denn Einigkeit mit den Kommunalen Spitzenverbänden über die Höhe der aufgelaufenen Kosten erzielt. Die kommunale Seite rechnet mit einem Anspruch auf Ausgleichszahlungen in Höhe zwischen 500 Millionen Euro und 1 Milliarde Euro.

Aber nicht nur die Herangehensweise an die Investition in Kita-Plätze ist für die Partner bei Trägern und Kommunen problematisch. Auch die Aufkündigung des Ausbaus der Familienzentren an Kitas überrumpelt die Kommunen und vor allem die Träger massiv. Statt den Ausbau wie angekündigt fortzusetzen, können nur noch Restkontingente genutzt werden. Das bedeutet, dass geplante Vorhaben nicht durchgeführt werden können, weil sie in der Priorisierung vor Ort weiter nach hinten gerutscht sind.

QiK auf der Kippe

Auch beim Thema des „Qualifizierten Quereinstiegs in die Kinderbetreuung“ (QiK) kommt es offenbar zu großen Schwierigkeiten. So soll das Projekt laut Medien auf der Kippe stehen. Demnach gebe es Probleme bei der Refinanzierung der kommunalen Anteile. Was sagt das über die angebliche familien- und kinderfreundliche Politik der Landesregierung aus?

Für die Bildung und Betreuung der Jüngsten tun sich immer wieder Lücken auf. Diese eher technisch anmutenden Fakten haben massive Auswirkungen auf die Startchancen der Kinder und auch auf ihre Familien: je früher und länger Kinder eine Kita besuchen, desto besser lassen sich Ungleichheiten ausgleichen und die Chancen für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn der Kinder verbessern. Dieses Recht haben alle Kinder, für viele ist dies aber mit Blick auf die fehlenden Plätze weit entfernt.

Eltern wollen nach der Geburt ihrer Kinder auch wieder beruflich einsteigen. Sie haben Zeit in ihre Ausbildung investiert und wollen mehrere Rollen erfüllen. Auch die der berufstätigen Eltern. Dies ist aber nur dann wirklich möglich, wenn sie auf eine funktionierende frühkindliche Bildung vertrauen können.

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